Atelier Misch Da Leiden
Atelier Misch Da Leiden

Medienecho: Texte über Misch Da Leiden:

Dieser Text von Elvira Mechtold über Misch Da Leiden entstand durch eine überarbeitende Auseinandersetzung mit dem Artikel,

den Frau Dr. Malgorzata Nowara für das Konschtlexikon

des MNAHA (Luxemburgisches Nationalmuseum) erstellt hat. 

 

 

Misch Da Leiden (geb. Michel Daleiden) wurde nach dem zweiten Weltkrieg in der Hauptstadt des Großherzogtums Luxemburg geboren. Seine Eltern führten im Stadtzentrum eine Parfümerie mit angeschlossenem Friseursalon.
Im Jahr 1969 begann er seine künstlerische Ausbildung an der École Nationale Supérieure des Arts Visuels de la Cambre (ENSAV) in Brüssel und setzte von 1970 - 1974 sein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf fort, wo er seine spätere Ehefrau, Elvira Mechtold, kennenlernte.
Nach dem Studium etablierte er sich dauerhaft in Düsseldorf, zunächst als Mitbegründer einer großen, langjährigen Wohn- und Ateliergemeinschaft, innerhalb derer er seine Werkstatt für Siebdruck und Malerei unterhielt. 1989 bezog er mit seiner Frau ein eigenes Atelierhaus , wo er zu seinem unverwechselbaren Personalstil fand. Hier integrierte er die künstlerischen Erfahrungen seiner bisherigen Laufbahn, und dann auch die Inspiration durch Reiseerfahrungen, besonders nach Italien. 2002 erkrankte er an Parkinson, konnte aber die körperlichen Einschränkungen u.a. auch mit Hilfe digitaler Bildbearbeitung kompensieren und blieb bis kurze Zeit vor seinem Tod 2024 künstlerisch produktiv.
 
Misch Da Leidens Hauptwerk stellt sich dar als eine Synthese von kritischem Realismus und postmoderner, unnaturalistischer Figuration. Motive und Stoffe, die Inhalte seiner Kunst, bezog Da Leiden zunächst vor allem aus der sekundären Realität der Massenmedien, erst später auch zunehmend aus seiner unmittelbaren Anschauung des urbanen Lebens.   In formaler Hinsicht formte er eine eigenständige Bildsprache, durch die Montage verschiedener Techniken ( z.B. Zeichnung, Malerei, Siebdruck,Fotografie ... ), verschiedener Materialien (z.B.Kreide, Lack, Acrylfarbe ...), verschiedener Stile (z.B. gestuelle Expressivität, lineare Flächigkeit, reduzierende Abstraktion, naturalistischer Illusionismus ...) bis hin zu Bildzitaten, die er der Alltagskultur und Kunst entnahm (z.B. smiley, Piktogramme, Schriftzüge, Comic). Dafür prägte er selbst den Begriff des "visuellen Dialekts". Diese so unterschiedlich gestalteten Bildelemente, montierte er in sehr sorgfältig vorgeplanten und ausgewogenen Kompositionen und in einem, zwar verschachtelt dekonstruierten, aber insgesamt doch noch als einheitlich wahrnehmbaren Bildraum. Dabei überwiegen ästhetisierend flächenhafte und graphische Gestaltungsmittel. Zusätzlich gelangte er zu einer Verdichtung der Bildinhalte, indem er die Motive beschnitten aneinanderrückte. In diesem Zusammenwirken von Inhalt und Form artikulierte er seinen zunächst sehr explizten, später mehr impliziten analytisch kritischen Blick auf das politische Zeitgeschehen und die Gesellschaft. Der Mensch, häufig dargestellt, interessierte ihn dabei weniger in seiner Individualität als vielmehr in seiner sozialen Rolle. Trotz der Ernsthaftigkeit, mit der Da Leiden sich der Realität zuwendete, kann man in seinen Werken und den Bildtiteln Bild- und Wortwitz entdecken.
 
Die Werkentwicklung lässt, trotz einiger Vor- und Rückgriffe, verschiedene Perioden erkennen.
Anfang der 1960er Jahre begann er mit abstrakten Werken, doch angesichts der Vorherrschaft der abstakten Malerei an der École de Paris in Luxemburg reagierte er mit figurativer Malerei. Später lässt er sich von der Pop Art inspirieren, wendet sich aber bald zu einem kritischen Realismus. Von 1980 - 1986 durchläuft er eine experimentelle Phase mit der Elaboration der "visuellenDialekte", gefolgt von der Phase der Reliefbilder, durch die er die Abgrenzung dieser Dialekte voneinander forcierte. Ab 1994 integrierte und verdichtete er beide Elemente zu einem komplexen Personalstil in planer Tafelmalerei; das Gemälde "Airport" markiert diesen Durchbruch. Erst nach der Jahrtausendwende setzt er auch die Mittel digitaler Bildbearbeitung ein.
 
 Misch Da Leidens Ausstellungstätigkeit begann bereits 1968 mit einer Ausstellungsbeteiligung in der Luxemburger Galerie Horn; es folgte in Luxemburg 1969 eine Beteiligung an der großen internationalen Ausstellung Initiative 69, sowie auch 1969 und 1971 an der IV. Biennale de la Peinture et Sculpture des Jeunes. (Auf dieser IV. Bienale erhielt er den Prix d'encouragent, auf der V. Bienale einen 2. Preis.)
Ab 1976 stellte er vor allem im Raum NRW aus, sowohl bei Gruppenausstellungen Düsseldorfer Künstler, als auch in Einzelausstellungen in Kulturinstituten und Kunstvereinen (Hattigen und Jülich), besonders aber in Düsseldorfs erster und ältester Galerie für zeitgenössische Kunst, der Galerie Niepel. 1987 zeigte das Düsseldorfer Stadtmuseum eine didaktisch aufbereitete Werkschau und erste Reliefbilder. 
Ab 2002 wurde seine Arbeit auch in Einzelausstellungen in Hamburg und Berlin gezeigt, insbesondere in der  Galerie Friedmann-Hahn.
Ab 2013 fanden die erste großen Retrospektiven seiner Arbeit statt, zunächst im renommierten Düsseldorfer Malkasten, dann auch 2017 in der städischen Galerie Schlassgoart in Esch/Alzette in Luxemburg. 2021 gab es eine umfangreiche Präsentation seines Werks zusammen mit B. Lutgen in der Ausstellung "Summer of 69" in der Luxemburger Villa Vauban. 
(2018 vertrat er Luxemburg in einer Ausstellung am Schloss Tetnang beim Bodenseefestival.)
 
 
Misch Da Leiden war in künstlerischer Hinsicht ein Einzelgänger. Er stand aber dennoch mit Künstlern seiner Generation in Verbindung:
1965 lernte er in Luxemburg den amerikanischen Künstler Ray Donarski (1935-1996) kennen, der ihm einen persönlichen Zugang zur Popart vermittelt hatte. (So wurde später auch Richard Hamilton zu einem sehr wichtigen Bezugspunkt für Misch Da Leiden.) Dort arbeitete er zusammen mit Marc Henri Reckinger, René Wiroth, René Kieffer, Carlo Dickes, Jos Weydert und Berthe Lutgen. 
Sein Lehrer an der Brüsseler ENSAV war Jo Delahaut, an der Düsseldorfer Akademie Gert Weberg, dessen Klasse er nach dessen Pensionierung ein Semester als Tutor weiter leitete. Mit Joseph Beuys (1921-1986) hatte er dort zu tun, als er ein Treffen zwischen Beuys und einer belgischen Besuchergruppe vermittelte. 
Er wohnte und arbeitete mit Ruth Weber, Horst Gläsker, Hans-Peter Menge, Jun Suzuki, Bernd Etschenberg unter einem Dach im Atelierhaus Poststraße. 
Bei einem Studienaufenthalt in Berlin 2009 konnte er die Wohnung des Filmemachers und Literaten Rainer Komers nutzen, der ihn als Werkstattleiter an der Akademie Düsseldorf das Siebdrucken gelehrt hatte.
Über das berufliche Interesse hinaus hatte er eine freundschaftliche Beziehung bis zu seinem Tod zu dem Lichtkünstler Klaus Geldmacher, zu dem Zeichner und Dichter Achim Raven und zu dem Filmemacher Rolf Neddermann.
 
Das Werk von Misch Da Leiden befindet sich weitgehend in privaten Sammlungen in Deutschland und Luxemburg.
Der erste Ankauf für eine institutionelle Sammlung erfolgte durch die ENSAV zu seiner Studienzeit. Die Abschlussarbeit des 1.Staatsexamens an der Düsseldorfer Akademie wurde 1979 vom Stadtmuseum Düsseldorf erworben. Weitere Ankäufe in Düsseldorf folgten durch das Kunstmuseum und das Goethe-Gymnasium, in Dortmund durch die Anstalt für Arbeitsschutz. In Luxemburg wurde 2017 ein Werk für die Sammlung der Stadt Esch erworben, danach eines seiner letzten Hauptwerke vom Musée national d'archeologie, d'histoire et d'art (MNAHA). Die Nationalbibliothek von Luxemburg (BNL) hat einen Querschnitt durch sein graphisches Werk angekauft, sowie einige seiner Künstlerbücher. 2022 erwarb das städtische Museum Villa Vauban ein frühes politisch geprägtes Signetbild, sowie ein weiteres, exemplarisch für seinen späteren Personalstil.
 
Mitglied war Misch Da Leiden ab 1969 in der luxemburger Künstlergruppe Initiative 69 und der sich daraus entwickelnden Arbeitsgruppe Kunst in der Groupe de recherche d'art politique (GRAP). In Deutschland war er Mitbegründers des Atelierhauses Poststraße Düsseldorf und langjähriges Mitglied in der Fachgruppe Bildende Kunst der IG Medien, die sich während seiner Zeit sehr für die Zahlung von Ausstellungshonoraren engagierte. 
 
Der Kunsthistoriker Edmond Thill stellte fest, dass Misch Da Leiden zu Beginn seiner Laufbahn zur künstlerischen Avantgarde in Luxemburg zählte.
Die Kunsthistorikerin Inge Zacher sieht die Ausstellung "Bildwuchs" von 1987 im Düsseldorfer Stadtmuseum als erste echte Anerkennung seines Werks. Diese Ausstellung präsentierte vor allem seine Reliefbilder, aber auch den den gesamten schöpferischen Prozess der Erarbeitung des Triptychons "Die 3 Sektoren der Weltpolitik" (Polaroidbilder); sie vermittelte dabei auch die Entwicklung seiner individuellen Bildsprache der visuellen Dialekte aus Pressefotos, Fernsehsendungen, Werbung und vielem anderem mehr.
Der Kunsthistoriker Bernd Kreuter prägte für Misch Da Leidens Bilder mit dem Bild-im-Bild-Konzept den Begriff des "medienkritischen Ansatzes". Die "Polaroidbilder"(s.o.) sieht er im Kontext der politischen Kunst seiner Zeit, beurteilt sie aber als herausragend in der Technik und in ihrer Medienkritik, die damaligem Bewusstsein vorauseilte.
Der deutsche Schriftsteller Achim Raven (Psyeudonum: Ferdinand Scholz) begründet differenziert, inwiefern Misch Da Leiden als Klassiker bezeichnet werden kann, nämlich nicht im Sinne eines Klassizisten, sondern als einen Künstler, der aus den Trümmern unserer Gesellschaft  monumentalen Montagen im menschlichen Maßstab schuf. Er widmete ihm das Gedicht "Stadtextrakt".
Die Archäologin Malgorzata Nowara markiert die Retrospektive "Kuch hei" von 2017 als erste würdigende Entdeckung des Werks von Misch Da Leiden in Luxemburg.
Die Kuratorin Gabriele Grawe stellte im Rahmen der Ausstellung von 2021 "Summer of 69" ein interessantes "typisch luxemburgisches " Merkmal fest, nämlich die Mehrsprachgkeit, die ihrer Meinung nach die Wurzel seiner "visuellen Dialekte" ist.
 
Auf dem im Besitz des MNAHA befindlichen Gemäldes "Metro-Boulot-Dodo" schildert Da Leiden die gegenwärtige Alltagsrealiät zu Beginn unseres Jahrtausends und zwar als einen Tagesablauf vom morgendlichen Austritt aus dem Privaten ins Öffentliche über Mittag und Tag im Berufsleben bis hin zum Feierabend wieder im Privaten. Entscheidend ist, dass Da Leiden dieses Narrativ in einer analytischen und präzisen Weise motivisch ausformuliert, um es so vor den Hintergrund eines kapitalistisch funktionierenden Wirtschaftssystems und in den Zusammenhang einer urbanen, hochtechnisierten und vereinzelnden Gesellschaft zu stellen. Er vermeidet dabei jeglichen Miserabilismus. Erst durch den durchaus relevanten Bildtitel (U-bahn fahren, essen, schlafen) wird dem Betrachter nahegelegt, zu Monotonie und Entfremdung führende Verhältnisse kritisch zu bewerten. Dieser grundlegend kritischen Haltung entsprechend, erkennt man auch auf diesem Werk die mehr soziologische Sicht auf den Menschen. Dennoch gibt es ein ins Bild integriertes Selbstportrait, wodurch sich der Künstler solidarisch und empathisch an die Seite der Menschen stellt, die an ihre Lebensverhältnisse angebunden sind.
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